Bielbericht

Schachfestival Biel 2016

Bericht von Hans-Jürgen Weyer, 05.08.2016

Zunächst bitte ich den Leser, meinen Bericht zum Turnier des Jahres 2012 zu lesen. Darin gebe ich auch Hinweise, warum ich so oft nach Biel fahre.
Nun - ich habe gelogen.
Wisst Ihr, liebe Leser, Schach spielen kann man überall auf der Welt. Im Flugzeug, am PC, am Strand, im Verein, sogar in Reykjavik, wie ich im März dieses Jahres selbst erlebt habe. Zumindest meine Gegner konnten Schach spielen; ich selbst bin den Nachweis, mich in dieser Kunst zu üben, schuldig geblieben. Also: Deswegen nach Biel zu fahren, ist lächerlich.
Alles, was ich damals als "trotzdem" aufführte, traf auch in diesem Jahr zu. Stau auf der Autobahn, teuer, superheiß, tagsüber mehr als 30 Grad, nachts nie unter 20.
Wie so oft in Biel, konnte ich auch diesmal kaum schlafen wegen "superheiß". Ich hatte die Wahl: (1) Ich öffne das Fenster und lasse des nachts etwas frischere Luft herein, dann konnte ich nicht schlafen wegen des Straßenlärms. (2) Ich lasse das Fenster geschlossen, dann konnte ich nicht schlafen wegen "superheiß". (3) Ich stelle den Ventilator an, dann konnte ich nicht schlafen, weil der Ventilator genauso laut ist wie der Straßenlärm bei geöffnetem Fenster. In der Praxis lief es auf eine Kombination der drei Varianten hinaus: Schwitzen bis 0:30 Uhr, dann Fenster öffnen und um 5:30 Uhr Fenster schließen und Ventilator an. Oft genug bin ich des nachts aufgestanden, um mir in der Dusche kaltes Wasser über die Beine laufen zu lassen. Selbst hier musste ich minutenlang warten, ehe aus der Dusche kaltes Wasser kam. Vorher war es - Ihr ahnt es - "superheiß".
Nein, weswegen ich nach Biel fahre, hat andere, profanere Gründe. Da ist zum Beispiel das Restaurant "Pfauen", wo ich unter den Arkaden sitzend einen wunderschönen Blick auf einen der mittelalterlichen Plätze der Stadt habe (wenn die blöde Säule nicht wäre, könnte ich wirklich den ganzen Platz überblicken). Und hier gibt´s das einzigartige Pouletbrüstchen an Chili-Orangensauce. Oder das Restaurant "Le Postillion" im benachbarten Nidau bietet ein wunderbares Entrecote, was mir zu bestellen gelang, obwohl die Bedienung nur Französisch spricht. Selbst der überteuerte Italiener gegenüber des Kongresshauses hat ein hervorragendes Roastbeef mit Sauce Tartare. Wusstet Ihr übrigens, dass die Schweiz über wunderbare Weine verfügt? Der Weißwein aus Erlach oder der Rotwein aus Twann, beide am Bieler See gelegen, - ausgezeichnet. Natürlich gibt es viele Eindrücke, die man bei einem fast zweiwöchigen Aufenthalt gewinnt. Da ist der morgendliche Spaziergang zum See. Der See - ewig gleich und jeden Morgen anders. Es ist schon bemerkenswert: Dieser wunderschöne See - Idylle pur - ist Überbleibsel einer der größten Naturkatastrophen, die unseren Planeten jemals heimgesucht haben: die letzte Eiszeit. Da sind die wunderbaren Wolkenformationen, die sich von Westen her über das Juragebirge schieben, ganz so als wollte die Natur zeigen, dass sie in der Lage ist, mindestens genauso schöne Gebilde an den Himmel zu zaubern, wie der Mensch mit seinem Feuerwerk am Vorabend des Schweizer Nationalfeiertages. Da sind die vielen Menschen aus aller Herren Länder. Gefühlt ist die Hälfte der Bewohner Biels aus Schwarzafrika (hatte die Schweiz mal Kolonien?). Insbesondere vor dem Bahnhof ist das Leben bunt (wer mich kennt, weiß, dass dies bei mir nicht unbedingt als Kompliment gemeint ist). Alle Hautfarben dieser Erde kommen vielfachen Beschäftigungen nach und sprechen dabei sämtliche babylonischen Sprachen. Das macht aber nichts, da man auch das heimische Schwitzerdütch beim besten Willen nicht versteht. Ich wurde von Schweizer Gesprächspartnern gefragt, ob ich denn "nur Schriftdeutsch", spräche. Ja, tue ich, wenn man mal von ein paar Brocken Öcher Platt absieht, was mir aber in Biel bisher auch nicht viel geholfen hat.
Auf dem Weg vom Hotel zum Spielsaal muss ich durch den Bahnhof und seiner Unterführung. Jeden Tag gibt dort ein anderer "Musiker" sein Können zum Besten. Wenn deren Darbietungen eine DWZ erhielten, so wären die Interpreten mit DWZ 1.200 schon bestens bedient. Schade nur, dass mich in diesem Jahr niemand in die Schweiz begleitet hat. Man braucht einfach jemanden, dem man die Ohren volljammern kann. Nun, ich glaube, dass ist jetzt missverständlich. Ich meine natürlich, es ist vorteilhaft, wenn man sich mit jemanden über die Partien austauschen kann. In der Vergangenheit habe ich dies schon mit illustren Namen tun können: Guideon Schalt, Daniel Fischer, Claus Andok, Christian Braun und zuletzt Fabian Horbach. Biel liegt ca. 120 km südlich der deutschen Grenze. Dafür kaufe ich mir keine Vignette, sondern fahre die Landstraße. Das dauert zwar länger, aber dafür ist die Strecke wunderschön. So, lieber Oliver, ich hoffe, Du bist mit meinem kleinen Bericht zufrieden.
Ooops, fast hätte ich es vergessen. Ich muss ja auch etwas zum Turnier schreiben. Nun, um es vorweg zu nehmen: Ich kann keineswegs zufrieden sein. Zu viele Fehler, manche grob, manche subtil. Die beiden ersten Partien gewann ich gegen schwächere Gegner recht leicht. Doch schon in der 3. Partie setzte der Fehlerteufel ein. Mit dem ersten Fehler setzte ich die Eröffnung in den Sand, mit dem zweiten ruinierte ich mein Mittelspiel und mit dem letzten Fehler verlor ich das Endspiel. Andere Partien verdarb ich zum Remis. Meine einzig gute Partie gewann ich gegen einen Schweizer Nachwuchsspieler mit dem treffenden Namen Oliver Angst. Apropos Angst. Bei den vier Remispartien gab es nur ein Angstremis, als ich erneut schlecht aus der Eröffnung herausgekommen bin und viel Zeit und Nerven brauchte, um mich zu bekrabbeln. Alle anderen Remispartien waren durchaus umkämpft. Enttäuschend verlief für mich die letzte Runde. Noch hatte ich + 2, doch diese letzte Partie verlor ich gegen meinen wohl stärksten Gegner völlig zurecht. An der Eröffnung muss ich unbedingt arbeiten, denn ich sehe jedes Mal schlecht aus (selbstverständlich werde ich einen Teufel tun, und an dieser Stelle nicht verraten, um welche Eröffnung es sich handelt). Sei noch erwähnt, dass ich vollständig ohne elektronische Unterstützung nach Biel gefahren bin - kein PC, kein Smart- oder sonstiges Phone, noch nicht einmal ein Eröffnungsbuch. Über die Paarungen informierte ich mich am Aushang am Spielsaal.
Über den Ausgang des allgemeinen Turniers informiert der Link bei Olivers Hinweis. Das Masteropen wurde überzeugend vom Samuel Shankland (USA) gewonnen. Das Begleitprogramm bestand diesmal aus drei Wettkämpfen, je zwei Schweizer Junioren spielten gegen zwei andere Junioren. Und der Wettkampf Maxime Vachier Lagrave gegen Peter Swidler katapultierte den 25-jährigen Franzosen auf den 2. Platz der Weltrangliste. Das Masteropen betrug diesmal nur 9 Runden (sonst immer 11), das ATO war schon immer neunrundig. Im ATO spielten überraschend viele Teilnehmer mit (150!), während das MTO mit etwas mehr als 110 auch gut besucht war. Dennoch hat sich der Charakter des Turnieres gewandelt. War früher eine große und starke russische Delegation spielbeherrschend, so kommen heute die meisten der Vorderplatzierten aus dem arabischen und dem indischen Raum. Die Russen waren früher jedoch deutlich geselliger und spielten z. B. gerne und fast überall Fußball. Und damit schließt sich der Kreis zum Bericht aus 2012 und auch dieser kleine Bericht. Im kommenden Jahr findet das Bieler Chessfestival zum 50. Male statt.