Bielbericht

Biel wie immer – Biel für immer

Bericht von Hans-Jürgen Weyer, 08.08.2012

Zunächst danke ich dafür, dass auf unserer Homepage immer wieder über Turniereinsätze von Herzogenrather Spielern berichtet wird. So auch über meine Teilnahme am 45. Schachfestival im Schweizer Biel. Den abschließenden Beitrag von Klaus Haverkamp habe ich als Bitte aufgefasst, über das diesjährige Turnier zu berichten. Was hiermit geschehen soll.

Nun, was treibt mich nach Biel? Im Jahre 1996 zum ersten Mal und dieses Jahr war es meine 8. Teilnahme. Warum begebe ich mich für etliche Stunden auf die längste Baustelle der Welt (früher einmal Autobahn genannt) – und das sowohl am Tage der Hinfahrt als auch am Tage der Rückfahrt zusammen mit der kompletten niederländischen Bevölkerung? Warum nehme ich etliche Nächte in Kauf, in denen ich mich in hoffnungslos überhitzten Hotelzimmern (in ganz Biel soll es mittlerweile ein Hotel mit Klimaanlage geben) schweißgebadet hin- und herwälze? Und all das zu alles anderen als preiswerten Bedingungen. Die Antwort ist einfach: Das großartige Turnier mit tollem „Drumherum“ und die wunderbare Kombination von Urlaub und Turnierschach. Da ist zum einen die Stadt. Biel ist als Industriestadt eigentlich gar nicht mal besonders schön (die Schweizer Uhrenindustrie ist dort zu Hause – von Swatch bis Rolex), verfügt aber über eine wunderschöne, wenn auch kleine Altstadt, wo man abends in guten Restaurants draußen italienisches Flair genießen kann. Besonders schön ist auch der Bieler See, an dessen Nordende die Stadt liegt. Biel liegt auf der Grenze zwischen der deutsch- und französischsprechenden Schweiz und bezeichnet sich selbst als „die Zweisprachige“. Allerdings hört man auf den Straßen auch Italienisch und viele afrikanische Sprachen.

Dann ist natürlich das Turnier, besser: die drei Turniere. Neben dem Großmeisterturnier gibt es das Meisterturnier (MTO, in dem man ab eine Elozahl von 2.000 mitspielen kann) und das Allgemeine Turnier (ATO, in dem man bis zu einer Elozahl von 2.050 mitspielen kann). Nirgendwo sonst habe ich bessere Spielbedingungen selbst für die schwächeren Teilnehmer gesehen. Auch die Zuschauer sind im großen Saal der Kongresshalle bestens aufgehoben. Nirgendwo sonst geben sich die Großmeister so locker und ungezwungen. Nirgendwo sonst tummeln sich die Supergroßmeister so hautnah innerhalb des „einfachen Volkes“. Viele insbesondere der russischen Meister (früher u. a. Morosewitsch, Ponormarjov, Riazantsev) nutzen die Abende zum Fußballspielen und freuen sich, wenn auch andere dabei sind. Vor einigen Jahren nutzten auch die mitgereisten damals noch Herzogenrather Spieler Claus Andok und Christian Braun immer wieder die Gelegenheit. Auch Magnus Carlsen spielte mit – und ich wurde überredet, mich ins Tor zu stellen. Glücklicherweise schweigen die Herzogenrather eisern über meine Torwartleistungen – und auch Carlsen hält sich bisher auf seinem Blog an das Schweigegebot. Das diesjährige Großmeisterturnier litt darunter, dass Morosewitsch nach zwei Runden krankheitsbedingt ausscheiden musste. Der kurzerhand verpflichtete Viktor Bologan trat mit dem Handicap an, zwei Runden weniger gespielt zu haben. Sein aggressives Spiel war allerdings sehenswert. Oftmals überzog er jedoch. So scheint das Wolga-Gambit gegen die Weltspitze nicht mehr spielbar zu sein. Magnus Carlsen machte zwischendurch einen unzufriedenen Eindruck – zu viele Remis für seinen Anspruch. Dennoch freute er sich über seinen zweiten Platz, der bei anderer Wertung ja ein erster gewesen wäre. Ehrlich gesagt, hatte niemand so recht dem Chinesen Wang Hao den Sieg zugetraut. Aber sein Spiel war absolut überzeugend. Ein belebendes Element war Anish Giri, der selbstbewusst und locker auftrat.

Kurz noch zu meinem eigenen Spiel: In Biel habe ich bisher immer gut gespielt, und auch in diesem Jahr bin ich mit 5,5 – 3,5 Punkten zufrieden. Alle Partien waren hart umkämpft. Am wenigsten schwer fielen mir die Gewinnpartien. Mit Weiß errang ich einen typischen Gewinn in einer Spanischen Partie. Als mein Gegner im 47. Zug aufgab, war gerade mal ein Bauer getauscht. Meine beiden Schwarzsiege verdanke ich der Französischen Verteidigung. Beide Male konnte ich meinen Gegnern eine fehlerhafte Eröffnung nachweisen. Meine Verlustpartie erlitt ich völlig zu recht. Ein alter russischer IM – mittlerweile nicht mehr stark genug für das MTO – war mir strategisch überlegen und zauberte zum Schluss sogar eine tolle Mattkombination aufs Brett. Am anstrengendsten waren die Remispartien. Zweimal konnte ich mit einem Mehrbauern nicht gewinnen, einmal versiebte ich die Eröffnung und verteidigte mich die folgenden 30 Züge lang am Abgrund. Hier muss man wissen, dass wir für 40 Züge 1,5 Stunden zur Verfügung haben. Danach erhält man bis zum Schluss der Partie noch einmal eine halbe Stunde hinzu – und von Beginn an 30 Sekunden pro Zug. So endeten etliche meiner Partien mit nur noch wenigen Minuten für den Rest der Partie und somit in einer Nervenschlacht. So war Biel auch in diesem Jahr wieder ein großartiges Erlebnis – und ich hoffe schon auf ein nächstes Mal im kommenden Jahr.

Blick auf den Bieler See. Am linken Bildrand liegt der Segelboothafan von Biel. Carlsen freut sich auf der Siegerehrung. Hinter ihm sein Vater, daneben seine jüngere Schwester und seine Mutter. Rechts der Turniersieger Wang Hao.